Der Heilige Weg von Annaberg nach Mariazell – Eine vertikale Reise

Anlässlich des vom Vatikan ausgerufenen Heiligen Jahres 2025 widmet das italienische Fernsehen RAI dem thematischen Schwerpunkt „Pilger der Hoffnung“ eine besondere Dokumentation über den europäischen Pilgerweg ROMEA STRATA. Diese traditionsreiche Route erstreckt sich von Tallinn in Estland bis nach Rom und führt in Österreich über den geschichtsträchtigen Pilgerweg VIA SACRA von Wien über die bedeutenden Zisterzienserklöster Heiligenkreuz und Lilienfeld bis nach Mariazell. Um die spirituelle Tiefe und die kulturelle Vielfalt einzufangen, begab sich der italienische Journalist Andrea Romoli auf Pilgerreise voller Begegnungen und Eindrücke. Nach Stationen in den baltischen Staaten, Polen und Tschechien erreichte er am 14. April Österreichs Bundeshauptstadt Wien. Auf seinem Weg in die Alpen besuchte er die beiden geistlichen Zentren Heiligenkreuz und Lilienfeld, bevor er am 15. April gemeinsam mit Mitgliedern des Pilgervereins Via Sacra den Fußmarsch von Annaberg nach Mariazell in Angriff nahm.

Andrea Romoli, RAI, Christa Englinger, Vizepräsidentin Romea Strata, Abt Pius, Stift Lilienfeld, Foto: Christian Hlavac

Lassen wir ihn über seine Eindrücke zu Wort kommen:
„Durch die österreichischen Alpen schlängelt sich ein Pilgerweg, der Spiritualität, Geschichte und atemberaubende Landschaften vereint: die Via Sacra, deren letzte Etappe von Annaberg nach Mariazell führt. Während ich diese Pfade beschreite, spürt mein Körper jeden einzelnen der 666 Höhenmeter, die diesen anspruchsvollen Abschnitt prägen – eine wahre „Bergtaufe“ nach den flachen Ebenen von Tallinn, wo „Erhebungen“ selten 20 Meter überschreiten.

Der Weg beginnt in Annaberg, wo mich Bürgermeisterin Claudia Kubelka und Maria Kvarda vom Verein Via Sacra in der Pfarrkirche Annaberg, geschmückt mit Monotypien von Prof. Sepp Gamsjäger, mit einem Lächeln empfangen, das zu sagen scheint: „Bist du bereit für die Herausforderung?“. Der Abstieg vom Ort bietet meinen Beinen eine kurzzeitige Erleichterung – doch es ist nur der Anfang. Ich halte am „Annabründl“ beim Gasthof Schachinger, wo mich eine barocke Pietà beobachtet, während ich meine Flasche auffülle – im Bewusstsein des bevorstehenden Wegs.

Interview mit Frau Klaudia Kubelka, Bgm. Annaberg, Pfarrkirche Annaberg, Foto: Ernst Leitner

Der „Lassingtalweg“ zeigt sich sogleich anspruchsvoller. Beim Aufstieg zur Joachimskapelle auf dem zweiten „heiligen Berg“ beginnen meine Muskeln zu protestieren. 45 Minuten später erreiche ich Wienerbruck – der Panoramablick entschädigt für die Mühe, doch zum Verweilen bleibt keine Zeit – der Weg ist noch lang.

Als ich die Hauptstraße in Richtung Josefsberg verlasse, dem dritten „heiligen Berg“, liegt eine weitere halbstündige Steigung vor mir. Die Wandmalereien im Pfarrhof, die Holzfäller bei der Arbeit in den Ötscher-Wäldern zeigen, erinnern mich daran, dass meine Anstrengung nichts ist im Vergleich zur Härte früherer Lebensweisen. Der Ötscher selbst, dessen Name „Vaterberg“ bedeutet, dominiert den Horizont, ragt über 1.800 Meter auf und lässt mich erkennen, wie fern die flache baltische Landschaft inzwischen ist.
In Mitterbach angekommen, nach erneut anderthalb Stunden Fußmarsch, halte ich inne und betrachte die bemerkenswerte Ausgewogenheit zwischen der katholischen und der protestantischen Kirche, während ich meinen vom Rucksack schmerzenden Schultern eine kleine Pause gönne.

Am Weg von Annaberg nach Joachimsberg, mit Pilgerbegleiterin Maria Kvarda, Pilgerverein Via Sacra, Foto: Ernst Leitner

Beim Eintritt ins steirische Gebiet wartet die Sebastiani-Kapelle auf dem vierten „heiligen Berg“ wie eine Erscheinung. Von hier aus führt mich der „Sebastianiweg“, gesäumt von Rosenkranz-Kapellen, in einem einstündigen Marsch nach Mariazell – ein Weg, der unendlich scheint. Jeder Schritt bringt mich dem Ziel näher, trägt aber auch das Gewicht der bereits zurückgelegten Kilometer, nicht nur von heute, sondern von all den vergangenen Tagen.

Als ich schließlich Mariazell erreiche, den bedeutendsten Marienwallfahrtsort Österreichs, spüre ich große Erleichterung. Hermine Butter, die „Meisterin des Stempels“, setzt mit einem verständnisvollen Lächeln den Stempel in meine Pilgerurkunde – sie weiß, was es bedeutet, bis hierher zu kommen.

Am Abend widme ich mich in der Stille des Gasthofs einem kleinen Ritual der Selbstfürsorge: Ich wasche meine Socken des Tages von Hand – eine Geste, die sich auf dieser Reise unzählige Male wiederholt hat. Während ich die feuchten Socken aufhänge, lasse ich gedanklich die Menschen Revue passieren, denen ich unterwegs begegnet bin: Christa Englinger, die mich mit Erfahrung begleitet hat, Ernst Leitner, der mir die Geschichte der Romea Strata erzählte, Pater Anastasius aus dem Stift Heiligenkreuz und Abt Pius aus dem Stift Lilienfeld – Hüter einer jahrhundertealten Tradition.

Ankunft in Mariazell, vl. Nino Contini, Obmann TV Hochsteiermark, Hermine Butter, Pilgerladen Mariazell, Dr. Hannes Maier, Österreichkoordinator AERS Romea Strata, Christa Englinger, Vizepräsidentin AERS Romea Strata, Dr. Andrea Romoli, RAI, Dr. Christian Hlavac, Wissenschaftlicher Beirat Romea Strata, Josef Ganser, Pilgerbegleiter Mariazell, Foto: Ernst Leitner

Während ich die regionalen Schlutzkrapfen genieße – ein wohlverdienter kulinarischer Trost – begreife ich, dass diese 666 Höhenmeter mehr als nur eine körperliche Herausforderung waren: Es war ein vertikaler Weg zu mir selbst, Schritt für Schritt, „gewaschene Socke für gewaschene Socke“, Begegnung für Begegnung. Und irgendwie fühle ich mich leichter – trotz der Müdigkeit und der Höhe.“

Die ROMEA STRATA
war über Jahrhunderte eine bedeutende europäische Pilgerroute für Menschen, die von Osteuropa nach Rom pilgerten: Von der Ostsee kommend durchquerten sie Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Tschechische Republik und Österreich, um bei Tarvis auf das Gebiet des heutigen Italiens zu kommen.

In Österreich verläuft die ROMEA STRATA auf bekannten Pilgerwegen: Von Drasenhofen bis Stockerau auf dem Jakobsweg Weinviertel, von Stockerau nach Wien auf dem Martinusweg Via Sancti Martini, durch Wien auf dem Jakobsweg Wien, von Wien nach Mariazell auf der Via Sacra bzw. dem Wiener Wallfahrerweg, von Mariazell nach St. Lambrecht auf dem Mariazeller Gründerweg (in umgekehrter Richtung) und dann weiter auf dem Hemmaweg, dem Benediktweg und dem Kärntner Marienpilgerweg zur italienischen Grenze.

Noch bevor diese Route zu einem Pilgerweg wurde, nutzte man sie für verschiedene – auch kommerzielle – Zwecke: Auf diesem Weg wurden unter anderem Bernstein, Salz, Eisen und Seide transportiert. Der Durchzug von Menschen aus unterschiedlichen Ländern hat auch zur Entwicklung der lokalen Kulturen beigetragen.

Heute begegnen wir auf der ROMEA STRATA vielfältiger Kunst und Architektur, die uns an vergangene Zeiten erinnert.

Der europäische Verein Associazione Europea ROMEA STRATA (AERS)
Die AERS wurde 2018 von Tourismus- und Regionsverbänden, Universitäten, Diözesen und Pilgervereinen aus Italien, der Tschechischen Republik und Österreich gegründet. Ziel des Vereins, der mittlerweile mehr als 50 institutionelle Mitglieder aus den sieben Partnerländern umfasst, ist es, die von Glauben und Kultur geprägte alte Pilgerstraße, von der Ostsee nach Rom wiederzubeleben. Pilgern, Wanderern und Kulturinteressierten soll über mehr als 4.500 Kilometer eine gut begehbare und attraktive Strecke quer durch Europa geboten werden. Gleichzeitig soll die Aufmerksamkeit auf das kulturelle Erbe entlang des Weges gelenkt und dabei die im Laufe der Jahrhunderte gezogenen Grenzen überwunden werden.

ROMEA STRATA in Österreich
Mitglieder des europäischen Vereines ROMEA STRATA sind in Österreich der Jakobsweg Weinviertel, die Via Sancti Martini, der Jakobsweg Wien, der Pilgerverein Via Sacra, die Wienerwald Tourismus GmbH, der Tourismusverband Traisen-Gölsental, die Stadtgemeinde Mariazell, Mariazeller Pilgerladen Hermine Butter, die Gemeinde Vordernberg sowie die ARGE Pilgern in Kärnten, der Pilgerverein Benedikt-be-WEG-t, die Diözese Gurk und der Tourismusverband Mittelkärnten.

Quelle: Presseaussendung ROMEA STRATA
Fotos: Ernst Leitner, Christian Hlavac

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